Die Kraft des Feuers

Tim B. Raav · Samstag, 9. März 2024 · ~5 Min.

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Wärme ist vielleicht das älteste therapeutische Mittel der Menschheitsgeschichte. Warum geraten therapeutische Mittel, die seit langer Zeit bekannt sind, häufig in Vergessenheit oder werden nicht so eingesetzt, wie es von ihrer Effektivität eigentlich zu erwarten wäre? Mit diesem Artikel möchte ich an das vielleicht älteste Therapeutikum der Menschheitsgeschichte erinnern.

Natürlich ist die Wärmflasche ein stetiger Begleiter vieler Menschen. Wärme hat im Allgemeinen einen entspannenden und dadurch häufig auch schmerzlindernden Effekt. Die Einfachheit der Anwendung ist bei Wärmflaschen sicherlich einer der Hauptgründe für ihre Verbreitung. Auch Hilfsmittel wie elektrische Heizdecken oder Rotlichtlampen sind in vielen Haushalten nicht mehr wegzudenken. Und sicherlich ist diese Art der Wärmebehandlung ein guter Weg, um den Körper zu entspannen und ihm in einem gewissen Maß Energie zurückzugeben.

Die große therapeutische Wirkung liegt aber aus meiner Sicht in der Infrarotstrahlung. In unseren Praxen benutzen wir eine spezielle Art von Infrarotstrahl, die ein nicht sichtbares Licht mit einer Wellenlänge von circa 3000 nm bis 1 mm aussendet und damit zu den Ferninfrarotstrahlen gehört. Diese Art der Infrarotstrahlung erzeugt ein hohes Maß an Tiefenwärme, die weit ins Gewebe vordringt, ohne die Haut dabei zu sehr zu erhitzen. Auch ist hier kein sichtbares Licht vorhanden, welches sich an der Haut bricht und hierdurch zu einer unangenehmen Überhitzung des oberflächlichen Gewebes führt. Mit dieser Art der Bestrahlung können wir besonders in Verbindung mit manuellen medizinischen Verfahren oder Methoden wie Akupunktur einen guten Einfluss auf den lokalen Stoffwechsel nehmen. Aber aufgrund der Bauart der Geräte sind dieser Methode klare technische Grenzen gesetzt, und auch die Sicherheit im Praxisbetrieb diktiert eine klare Limitierung der Strahlungsleistung.

All diese Limitierungen sind in der ältesten Errungenschaft der Menschheitsgeschichte nicht vorhanden. Das Feuer ist eine der effizientesten Quellen für therapeutisch genutzte Infrarotstrahlung, die wir haben. Denn besonders das Holzfeuer sendet ein breites Spektrum an Infrarotstrahlung aus. Physikalisch unterscheiden wir in die nahe Infrarotstrahlung, die mittlere Infrarotstrahlung und die Ferninfrarotstrahlung.

Mit der nahen Infrarotstrahlung können wir nach Studienlage besonders die Durchblutung und die Sauerstoffversorgung in den oberen Gewebeschichten verbessern, eine Schmerzlinderung erreichen, eine entzündungshemmende Wirkung erzielen und auch die Gewebsreparatur und die Zellregeneration sowie die mitochondriale Funktion, besonders der oberflächlichen Gewebeschichten, verbessern.

Die mittlere Infrarotstrahlung kann durch ihre größere Eindringtiefe zu einer direkten Erwärmung des Gewebes und somit zu einer sofortigen Schmerzlinderung führen. Besonders bei Muskelverspannungen hilft dies häufig. Sie führt zu einer Vasodilatation, also zu einer Gefäßerweiterung, und damit zu einer verbesserten Durchblutung und einer verbesserten Sauerstoffversorgung. Die Erhöhung der lokalen Temperatur kann das Immunsystem stimulieren. Im Allgemeinen wird die Bestrahlung mit mittlerem Infrarotlicht als entspannend und angenehm empfunden und kann damit auch zu einer Verbesserung des Schlafes und zu einem Abbau von Stress beitragen.

Die am Anfang erwähnte Ferninfrarotstrahlung wird häufig zur therapeutischen Behandlung eingesetzt, da sie die Mikrozirkulation und die Erweiterung der Kapillaren verbessert und damit zu einer verbesserten Sauerstoff- und Nährstoffversorgung im Gewebe führt. Durch die hohe Eindringtiefe können auch Schmerzen in relativ tief gelegenen Schichten verbessert werden. Studien zeigen auch eine direkte Wirkung auf die Nerven sowie eine Reduzierung von Entzündungen aufgrund der verbesserten Mikrozirkulation. Die hohe Eindringtiefe und die damit verbundenen Effekte unterstützen auch bei den Entgiftungsvorgängen, der Kollagenproduktion und damit auch bei der Wundheilung.

Das Holzfeuer vereint all diese Fähigkeiten in sich, da es von jeder Infrarotstrahlungsart, je nach Größe des Feuers, ein extrem großes Maß ausstrahlen kann. Nehmen wir einen geschlossenen, mit einer Fensterscheibe versehenen Kamin als unser Beispiel, kann über die Distanz des Körpers zum Kamin sowie der exponierten Stelle des jeweilig bestrahlten Körpers eine kurzzeitige, sehr intensive Wärmebestrahlung eines bestimmten, auch großflächigen, Areals vorgenommen werden. Natürlich ist bei dieser Methode Vorsicht geboten. Es darf nicht zu Hautverbrennungen kommen. Zum Schutz der Haut kann ein Kleidungsstück über die betroffene Stelle gezogen werden. Da die meisten Menschen aber, oft unzählige Male, vor einem offenen oder teilgeschlossenen Feuer gesessen haben und uns der Umgang mit Feuer seit Anbeginn der Zeit in unsere Gene geschrieben ist, ist für die meisten Menschen die Therapie mit von Feuer emittierter Infrarotstrahlung intuitiv gut zu erlernen. Diese Art der tiefen Wärmebestrahlung kann hervorragend mit Dehnübungen und Selbstakupressur sowie Massagen kombiniert werden und führt so zu außergewöhnlich guten therapeutischen Erfolgen, sowohl in Selbst- als auch in der Fremdbehandlung.

Ein einfaches Beispiel können wir in der Behandlung von Schulter-Nacken-Verspannungen sowie Schmerzen finden. Setzen wir uns, mit einem T-Shirt bekleidet, mit dem Rücken zu einem Kamin oder einem offenen Feuer, können wir die durchdringende Wärme direkt wahrnehmen. Für ein therapeutisches Arbeiten empfiehlt sich aus offensichtlichen Gründen das Sitzen vor einem geschlossenen Kamin. Durch die Regulation des Abstands von der bestrahlten Körperregion zur Scheibe des Kamins können wir sehr direkt einen Einfluss auf die Bestrahlungsintensität nehmen. Beginnen wir nun mit einer leichten Erwärmung des Gewebes, können wir uns so langsam an einen Grad der Durchwärmung herantasten, indem wir durch anschließende leichte Dehnung des Schulter- Nacken-Bereichs eine deutliche Spannungsreduktion der Muskulatur erreichen können. Weitere Intensivierungen können wir hier nach erneutem Anwärmen durch manuelle Akupressur der Punkte im Schulter-Nacken-Bereich erzielen. Es empfiehlt sich, Entspannungsphasen einzubauen, in denen wir eine größere Distanz zur Strahlungsquelle einnehmen oder entspannt auf den Rücken legen oder hinsetzen. Bei der Behandlung des Schulter-Nacken-Bereichs empfiehlt es sich auch immer, den Bereich der Brust durchzuwärmen, da dieser über Muskulatur und Nervensystem in direktem Zusammenhang mit der oberen Brustwirbelsäule steht.

Ich hoffe, dass ich mit diesem Artikel Interesse an der Wiederentdeckung der Kraft des Feuers geweckt habe. Die im Beispiel genannten Punkte sind in meinen YouTube Videos sehr deutlich erklärt und können so direkt zur Anleitung genommen werden. Ich plane, hierzu therapeutische Lehrvideos mit konkreten Anwendungsbeispielen zu produzieren. Vielen Dank fürs Lesen und für Ihr Interesse.